Beginenhauseröffnung am 19. April 2013

Beginenhaus Tübingen-MauerstraßeEntgegen des ursprünglichen Plans konnte die Veranstaltung nicht gänzlich in der Mauer­straße stattfinden: der Platz hätte einfach nicht ausgereicht! So wurde der „offizielle“ Teil am Vormittag in den Saal im Salzstadel verlegt (einer der Vorteile unserer Wohnlage am Rand der Altstadt: es sind nur ein paar Schritte. Und das Wetter hat auch mitgespielt). Die Moderation der Veranstaltung hatte Ingrid Schneider-Hofmann, die lang­jährige stellver­tretende Vorstands­vorsitzende der Beginen­stiftung, über­nommen.

Das erste Grußwort sprach Oberbürgermeister Boris Palmer, der Stiftung und Hausverein zur Realisierung des Hauses beglück­wün­schte und an den Beitrag der Stadt, den Verkauf des Hauses in der Mauerstraße durch die GWG erinnerte. Er betonte, mehr habe die Stadt, obwohl sie das Projekt begrüßt habe, nicht tun können, da die Mittel begrenzt seien und von vielen Seiten Wünsche nach Unter­stützung an die Stadt herangetragen würden. Immerhin habe die Stadt nicht versucht auf dem freien Markt einen Höchstpreis für Haus und Grundstück zu erzielen. Angesichts des demographischen Wandels müsse auch die Stadt ein Interesse daran haben ihren Bürgern möglichst lang Mobilität und Lebensqualität zu ermöglichen, die dazugekommenen Lebensjahre sinnvoll zu erleben.

Eröffnung Beginenhaus Tübingen-Mauerstraße

Irmtraud Ruder, Vorsitzende des Dachverbandes der Beginen, Stiftungsrätin der Beginen­stiftung und Mitbegründerin des Beginen­hofes Schwerte, erinnerte an die Neugründung der modernen Beginen­bewegung ab den 80er Jahren des 20. Jahr­hunderts und verwies auf die Notwendig­keit öffent­licher Unter­stützung weiterer Projekte angesichts sich wandeln­der gesell­schaft­licher Bedingungen.

Anschließend sprach Dieter Hackler, Leiter der Abteilung „Ältere Menschen, Wohlfahrts­pflege, Engage­ment­poli­tik“ des Bundes­ministe­riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, zum Thema „Gemein­schaft­liches Wohnen aus der Sicht des Bundes“. Er betonte, gemein­schaft­liche Wohn­projekte beträfen nicht nur die Bewohner, sondern wirkten auch ins Um­feld. Seine Abteilung erhalte ungezählte Anfragen und Anträge auf Unter­stützung, längst nicht allen könne man nach­kommen. Das Projekt der Beginen­stiftung, vorge­stellt und vertreten durch Ingrid Gerth, habe so schlüssig und durch­struktu­riert gewirkt, Frau Gerth selbst einen so entschlos­senen und durch­setzungs­fähigen Eindruck gemacht („die schafft das!!“), dass man sich zur finan­ziellen Unter­stützung entschlossen habe. Das Ergebnis hat diese Ein­schätzung bestätigt!

In Anschluss daran berichtete Ingrid Gerth selbst von der Gründung der Stiftung, dem Gedanken des gemein­schaft­lichen Wohnens für Frauen angesichts des gesell­schaft­lichen Wandels und den Heraus­forde­rungen einer alternden Gesell­schaft mit einem hohen Anteil allein lebender Frauen. Leitgedanke war und ist die Schaffung eines sicheren Umfeldes, Sicher­heit vor Kündi­gung wegen Speku­lation und Gewinn­orientierung, Lebens­möglich­keit in Gemein­schaft, Selbst­bestimmung und Soli­dari­tät.
Sie erinnerte an wichtige Stationen bei der Planung des Projektes, an Erfreu­liches, aber auch an Schwie­rig­keiten und Rück­schläge in den Jahren der Durch­führung bis heute. Sie berich­tete auch lebendig und anschau­lich von der Ent­stehung der Projekt­gruppe von den Anfängen – wechseln­den Menschen und Ideen – bis zur jetzigen Gestalt und Zusam­men­setzung der Gruppe.

Architekt Dietmar Wiehl erläuterte verständ­lich die Gegeben­heiten von Haus und Grund­stück, sowie die sich daraus ergebenden Über­raschun­gen und Schwie­rig­keiten vor Beginn und vor allem während der Bauzeit.

Den Festvortrag „Die Zukunft des gemeinschaft­lichen Woh­nens“ hielt Dr. Kirsten Mensch, wissen­schaft­liche Referen­tin der Schader-Stiftung und Stiftungs­rätin der Beginen­stiftung.

Die musikalische Gestaltung hatte das Tübinger Block­flö­ten­ensemble „Consor­tino“, eine Gruppe von 7 Frauen zwi­schen 42 und 80 Jahren, unter Leitung von Clara Dederke über­nommen – als „Ein­zugs­geschenk“ an Haus­gemein­schaft und Gäste. Gespielt wurden neben Eingangs- und Schluss­komposition zeit­genössi­scher Kom­po­nisten eine Psalm­ver­tonung („Unser Leben währet 70 Jahr“) aus dem 16. Jahr­hundert und eine Jagd­kompo­sition von Tele­mann für vier Bass-Stimmen.

Anschließend ging es in unser Haus in der Mauer­straße. Bei einem liebe­voll ange­richte­ten kalten Buffet kam es zu ange­regten Gesprä­chen. In mehreren Gruppen be­sich­tig­ten die zahl­reichen Besucher unser Haus und zeigten sich angetan von den Bau­lich­keiten und der schönen Aus­ge­stal­tung der Räume. Besonders das restau­rierte Treppen­haus fand viel Anklang. Erstaunen erregte die groß­zügige Wirkung im Inneren des Hauses, die man bei der doch recht kompak­ten Außen­an­sicht kaum vermutet.

Am Nachmittag folgte der eher „familiäre“ Teil der Ein­weihung. Die Haus­ge­mein­schaft hatte die Freun­des­kreis­mit­glieder zu einem Nach­mit­tag mit Kaffee und Kuchen samt Haus­be­sich­ti­gung ein­ge­laden, als Dank für die jahre­lange Hilfe und Unter­stützung. Zu unserer Freude wurde die Ein­la­dung in hohem Maß ange­nom­men. Fast 40 Leute drängten sich in unserem Gemein­schafts­raum im Erd­ge­schoss. Trotz der Enge fanden alle einen Platz.

Hausbewohnerinnen berichteten über die Entstehung des Hauses, das Zusammenfinden der Gruppe, anfängliche und noch bestehende Schwierigkeiten und Widrigkeiten sowie über das Zusammenleben im Haus. Es ist klar: Niemand bereut den Entschluss, hierher zu ziehen!

Deutlich gemacht wurde auch, wie vielen Menschen wir zu Dank verpflichtet sind: Ingrid Gerth, ohne deren Ideen, Zähigkeit und Durchhaltevermögen es das Haus nicht gäbe, Herrn Wiehl, der mit uns geduldig und umsichtig die Bauzeit bewältigt hat, den Handwerkern, die unsere Wünsche nach Kräften umgesetzt haben (mit den anderen streiten wir uns noch!), den Mitgliedern des Stiftungsrats und nicht zuletzt dem Freundeskreis und vielen ehrenamtlichen HelferInnen.

Auch am Nachmittag fanden die Hausführungen in kleinen Gruppen reges Interesse. Wir haben uns bemüht, alle Fragen zu beantworten. Einen Höhepunkt des Nachmittags bildete die Aufführung des Stücks von „An allem ist die Katze schuld“ (ein Stück für 4 Personen und Vorhang) durch das Frauenensemble „Purpur“, zu dem auch zwei der Haus­be­woh­nerin­nen gehören. Trotz der Enge fanden am Ende des Stücks vier Theater­leichen auf dem Fußboden des Gemein­schafts­raumes Platz!

Als Geschenk des Dach­ver­bandes der Beginen über­reichte Irmtraud Ruder einen Gutschein für eine Magnolie (alle Beginen­häuser und -höfe haben eine). Wir über­legen noch, wo wir sie in unserem Minigarten am günstigsten unter­bringen können. Aus unserer Sicht war es ein gelungener Tag, der bei allen Besuchern großen Anklang gefunden hat.

Für die Hausgemeinschaft endete der Tag mit einem Haussegen mit Frau Pfarrerin Elke Maihöfer, der wir für ihre Bereitschaft dazu ganz herzlich danken.

Waltraud Wipper