Das Leben auf dem Beginenhof Lieselotte in Tännich

– Bericht einer modernen Begine –

Am 24. Oktober 2003 referierte Dr. Gisela Pohl, eine der Gründerinnen des Beginenhofs Tännich bei Erfurt, in Tübingen über die Wiedergeburt der Beginenbewegung. Zu dieser gut besuchten öffentlichen Veranstaltung hatte neben der neu gegründeten Stiftung auch der Verein Die Tübinger Beginen e.V.eingeladen.

Die Renaissance der Beginenbewegung wurde durch die Frauenforschung ausgelöst. Die ganzheitliche Lebensweise der Beginen faszinierte viele Frauen, unter anderem auch eine Frauengruppe aus dem Rheinland, der Gisela Pohl angehörte. Diese Frauen waren im spirituellen Bereich zwar weniger am Christentum als am Schamanismus interessiert, aber wegen der Übereinstimmung im praktischen Lebensvollzug entstand bei den Frauen der Wunsch, sich in die Tradition der Beginen zu stellen und einen Beginenhof mit eigenem Land zu erwerben, nach dem Motto: „Frauenland in Frauenhand!“.

Im Jahr 1995 kam die Gruppe um Gisela Pohl in Kontakt mit politisch aktiven Feministinnen aus Erfurt. Gemeinsam suchte man nach einem geeigneten Ort für den Beginenhof und wurde südöstlich von Erfurt fündig. Tännich, ein altes Schloss und Landgut, in der DDR als Kinderheim genutzt, wurde auf Kredit gekauft. Gisela Pohl legte mit dem Geld, das ihrer Mutter Lieselotte für deren Familienarbeit zugestanden hätte, den Grundstock für die Sanierung des Gutes.

Zur Zeit leben 13 Frauen auf dem Hof. Jede Frau ist finanziell und emotional für sich selbst verantwortlich. Sie verpflichtet sich jedes Jahr am 2. August, dem Fest der Schnitterin, aufs Neue, für ein Jahr als Begine auf dem Tännicher Hof zu leben und zu arbeiten. Sie hat dort eine eigene Wohnung oder ein eigenes Zimmer; ihr stehen Gemeinschaftsräume, Garten und Wald zur Verfügung.

Sie hat den festen Willen, die Beginengemeinschaft voran zu treiben, und ist deshalb bereit, freiwillig und unbezahlt für den Beginenhof zu arbeiten, denn der Kredit muss zuverlässig abgezahlt werden. Sie macht die Arbeit, zu der sie Lust hat, die sie beherrscht oder die sie lernen will oder immer wieder auch das, was einfach getan werden muss. Samstags geht sie zum Plenum ins Beginenzimmer, auf dem alle Beschlüsse möglichst im Konsens gefasst werden. Sie muss lernen, auch heftige Auseinandersetzungen zu ertragen und immer von Neuem auf Transparenz und Ausgleich hin zu arbeiten. Auch an vielen Nachmittagen finden sich meistens eine oder mehrere weitere Beginen, mit denen sie einen Kaffee trinken und über wichtige Angelegenheiten sprechen kann. Abends zieht sie sich im allgemeinen nach einem anstrengenden, aber erfüllten Tag zurück.

Der Tännicher Beginenhof unterscheidet sich von anderen Projekten durch die gemeinsame Arbeit an der Konsolidierung und Erweiterung des Projekts und durch den spirituellen Bezug, der sich im Feiern der Jahreszeitenfeste manifestiert, was die Gemeinschaft sehr verbindet. Zur Zeit wird versucht – teilweise mit EU-Mitteln –, einen Gesundheitsbereich aufzubauen, denn Heilung in einem umfassenden Sinn ist das, was der Beginenhof den Frauen – Bewohnerinnen und Gästen – ermöglichen möchte.

Der Beginenhof heißt „Lieselotte“, nach der Mutter von Gisela Pohl. Mit der Namensgebung soll sie für ihre Arbeit gewürdigt werden, ganz im Sinne von Olympe de Gouges, die ungefähr sagte: Wenn eine Frau das Recht hat, das Schafott zu besteigen, dann hat sie auch das Recht, auf der Tribüne zu stehen.

Übrigens: Auch die Tännicher sind dabei, eine Stiftung zu gründen, um den Beginenhof abzusichern.