Am Vormittag des 7. Oktober 2006 bildete der Saal im Dachgeschoss des Salzstadels wieder den örtlichen Rahmen für die Festveranstaltung zur Verleihung des mit 500 EUR dotierten Beginenpreises. Mit diesem Preis ehrt und unterstützt die Beginenstiftung Tübingen jedes Jahr eine alleinstehende Frau mit herausragendem sozialen Engagement.
Oberbürgermeisterin Brigitte Russ-Scherer, Schirmherrin der Beginenstiftung, sah die Einrichtung der Stiftung als mutig an und bezeichnete es als sehr wichtig, dass jemand das Thema „Frauen allein im Alter“ angehe. Nach guten Wünschen für die Zukunft der Beginenstiftung dankte sie der diesjährigen Preisträgerin Sabine Böhlke für ihr ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingshilfe und rief ihr ein „weiter so“ zu. Wo es möglich sei, werde die Stadt dieses Engagement auch weiterhin unterstützen, so wie z.B. kürzlich beim schließlich erfolgreichen Versuch, die ungerechtfertigte Abschiebung einer in Tübingen lebenden Flüchtlingsfamilie zu verhindern.
Ingrid Gerth stellte die Preisträgerin in einem Interview vor. Sabine Bölke (Jahrg. 1961), die bereits im Vorjahr unter den vorgeschlagenen Personen war, wurde 2006 erneut für den Beginenpreis vorgeschlagen und in diesem Jahr für ihr langjähriges ehrenamtliches Engagement für Flüchtlinge und für andere benachteiligte Menschen ausgezeichnet, das letztlich bereits seit ihrer Jugend besteht. Sie war 2005 Teamerin im Sommerlager Ahrensbök der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste für Jugendliche aus Polen, Russland und Ungarn. Frau Bölke ist Gründungsmitglied des Vereins „Flüchtlingskinder im Libanon“ und unterstützt ein 16jähriges Patenkind im Libanon. Außerdem ist sie auch Gründungsmitglied des Fördervereins für das Asylzentrum Tübingen und zur Zeit im Vorstand des Vereins. Ihr großes Vorbild ist Dorothee Sölle und sie versucht, nach deren Devise „Den Glauben leben, aber nicht herausposaunen“ zu handeln. Frau Bölke hat nach einer Krankenpflegeausbildung den Diplomstudiengang Sozialarbeit an der evangelischen Fachhochschule Reutlingen absolviert. Nach dieser Ausbildung war sie auch beruflich in der Flüchtlingsbetreuung tätig, allerdings immer auf befristeten Stellen. Ihre letzte Stelle lief vor drei Jahren aus. Entsprechend ihrem Motto „aus allem das Beste machen…“ hat sich Frau Bölke danach als Beraterin in der Einzelfallhilfe im sozialen Bereich selbstständig gemacht, wobei sie allerdings auf Hartz-IV-Unterstützung angewiesen ist, um „über die Runden“ zu kommen. Für die Zukunft wünscht sich Sabine Bölke endlich eine feste Stelle – und einen Besuch bei ihrem Patenkind. Wir wünschen ihr, dass beide Wünsche bald erfüllt werden.
Für den Beginenpreis 2006 waren außer Sabine Bölke folgende Frauen vorgeschlagen worden: Sigrid Isele, die sich ehrenamtlich in der Drogenberatung, der Aidshilfe und der Betreuung von Jugendlichen engagiert; Monika Barnett, die als Pflegemutter sozial benachteiligter Kinder verschiedener Nationalitäten viele Kinder auf einen guten Weg brachte; Monika Krause, die bei der Tübinger Tafel mitarbeitet und eine alte Frau regelmäßig betreut. Ein kleines Wunder ereignete sich in den Tagen nach der Verleihung des Beginenpreises: Die Frau, die Frau Barnett vorgeschlagen hatte, ließ ihr aus eigenen Mitteln die Preissumme zukommen. Wir finden das großartig!
Nach der Preisverleihung entführte Vera von der Osten-Sacken die Anwesenden in die Zeit der allerersten Beginen, die um 1200 in der Gegend um Lüttich beginnt. Ihr Vortrag trug den Titel „Armut, Keuschheit, Unabhängigkeit – Marie d’Oignies: Mystikerin und Wegweiserin der ersten Beginen“. Diese Frau aus gutem Hause schloss sich als junges Mädchen der neu aufgekommenen religiösen Armutsbewegung an, die eine Erneuerung der Kirche anstrebte. Vera von der Osten-Sacken, die einen Teil ihres Theologiestudiums in Tübingen absolvierte und jetzt in Bremen als Vikarin lebt, verfasst darüber ihre Doktorarbeit. Marie d’Oignies wie auch andere der ersten Frauen, die später als Beginen bezeichnet wurden, handelten aus religiösen Motiven, wenn sie sich der Pflege von Kranken und Ausgestoßenen annahmen. Sie strebten nach Erleuchtung, nach Heiligkeit; um diese zu erreichen, unterwarfen sie sich Entbehrungen und auch Selbstgeißelungen. Die Referentin zeichnete hier eine Welt nach, die von der heutigen Beginenbewegung – und auch den Anliegen der Beginenstiftung Tübingen – sehr weit entfernt ist. Relativ schnell, fast innerhalb einer Generation wurden allerdings die vorrangig religiösen Motive, die die ersten Beginen zu ihrer Lebensform führten, durch ein ganzes Bündel an Motiven ergänzt oder auch abgelöst, worunter die soziale Versorgung alleinlebender Frauen eine wichtige Rolle spielte.
Das Tübinger Duo Saxakkord bestehend aus Anne und Dorothea Tübinger bereicherte die Veranstaltung mit eigenen Kompositionen. Die Moderation lag wieder in den bewährten Händen von Nanna Bauschert-Engel.
Die Veranstaltung endete mit der Eröffnung der Beginentombola 2006 und einem kleinen Umtrunk und Imbiss.
Herzlichen Dank an alle, die sich aktiv an diesem Tag beteiligten!